Brust raus

Nackte Bäuerinnen, schlammverschmierte Sportlerinnen: Warum bitte ziehen sich ganz normale Frauen für absurde Kalender aus?

 

Joanna hat am morgen noch die Kühe gemolken und gefüttert, bevor sie losgefahren ist. Nadine hatte am Wochenende ausnahmsweise keinen Wettkampf, sie hat nur locker trainiert: drei Stunden Mountainbike am Samstag und Sonntag dann vier Stunden Rennrad. Andrea hat noch bis in den Abend im Büro gesessen, um den Monatsabschluss für ihre Firma fertig zu machen. Für alle drei war es eine ganz normale Woche, bis zum Tag der Fotoaufnahmen für den jeweiligen Erotikkalender. Da haben sie alle das Gleiche getan: sich ausgezogen.


Etwa hundert Erotikkalender kommen jedes Jahr in Deutschland auf den Markt. Einer zeigt Zeichnungen von Egon Schiele, einige wenige zeigen Männer mit nacktem Oberkörper, der Rest zeigt Frauen. Ganz normale junge Frauen, die auf Lehramt studieren, Landwirtinnen sind, Sportlerinnen, Ergotherapeutinnen, Mütter oder Finanzanalystinnen. Junge Frauen, die einen Beruf haben, die nicht berühmt werden wollen oder planen, in Zukunft Geld mit ihrem nackten Körper zu verdienen. Warum machen die das?


Nackte Haut ist gut zu vermarkten. Prominente nutzen das. Sie bekommen entweder viel Geld dafür, dass sie mit ihrem nackten Körper Werbung für ein Produkt machen oder aber sie machen Werbung für das Produkt, das sie selbst sind. Für sie hat das Ausziehen eine Wirkung. Ihre Suchanfragen bei Google gehen hoch und damit ihr Marktwert. Das lässt sich erheben: Das niederländische Topmodel Lara Stone hatte laut »Google Insights Search« drei große Momente in seinem Leben – die Hochzeit mit dem Schauspieler David Walliams, die Veröffentlichung von Oben-ohne-Bildern im französischen Playboy und schließlich die Vorstellung des Pirelli-Kalenders 2012, des bekanntesten Erotikkalenders überhaupt, für den sie ganz nackt posiert hat. Promis nützt das Ausziehen. Nach so einem Peak in der Aufmerksamkeitskurve kann Stone, genau wie Schauspielerinnen und Moderatorinnen, mehr Gage verlangen: in ihrem Beruf, aber auch für Werbeauftritte oder ihr Auftauchen bei Shoperöffnungen.


Den jungen Frauen, die sich für die Kalender ausziehen, nützt das gar nichts. Sie bekommen eine Aufwandsentschädigung von hundert Euro und ein paar Freiexemplare. Wenn sie Glück haben. Berühmt werden können sie mit ihrem Foto auch nicht, denn der Betrachter kennt nicht mal ihren Namen. Aber was wollen sie dann? Welche neuen Impulse kann eine Frau überhaupt noch mit ihrer Nacktheit setzen


Keine Geschichte ist länger als die der nackten Frau. Schon immer wurden Frauen nackt angeschaut, gemalt, fotografiert, gefilmt – je nach Epoche. 74 Prozent der abgebildeten Nackten im Metropolitan Museum of Art in New York sind weiblich und nur vier Prozent der Künstler. Die Internetseite der Bild-Zeitung hat Erotik längst zu einem eigenen Nachrichtenressort neben Kino, Kultur und Royals erhoben. Fotos von nackten Männern zeigt die Seite nicht. Die Werbung nutzt ständig Frauenkörper um Produkte zu verkaufen: Dabei geht es um unnötige Darstellung von weiblicher Nacktheit – wenn nämlich nicht bequeme Unterhosen oder Sport-BHs beworben werden, sondern Bier, Autos, Schlagbohrer oder ein Technikversandhandel. Frauendiskriminierung ist der häufigste Grund für eine Beschwerde beim Deutschen Werberat. Und das seit 1989.


Die britische Medienwissenschaftlerin Laura Mulvey beschrieb 1975 die Rollen der Geschlechter wie folgt: Die Frauen sind im Bild und die Männer sind die Träger des Blicks. Nie war es so einfach wie heute, diese These zu überprüfen. Ist die Feministinnengruppe Guerrilla Girls noch durchs Museum gelaufen, um bei jeder Nackten einen Strich in den Block zu machen, muss man heute nur eine beliebige Amateurporno-Seite im Internet anwählen, um herauszufinden: Mulvey hat recht – die (Handy-)Kamera hält immer der Mann.


Die jungen Kalenderfrauen verstehen sich auch als Werbeträgerinnen. Nicht für sich, weil sie nicht berühmt sind. Nicht für ein Produkt, weil sie nicht professionell modeln. Sondern für die Sache der Frauen – nur mit umgekehrten Vorzeichen als der überwiegende Teil Deutschlands. Sie fordern keinen gerechten Lohn, keine Quote, keine Kita-Plätze. Sie fordern nicht mehr Gleichheit, sie fordern mehr Weiblichkeit. Zumindest für sich.


Nadine ist Profiradlerin, jedes Wochenende fährt sie Wettkämpfe. Und am Montag gibt es dann immer einen Haufen Fotos von ihr auf dem Mountainbike: schlammverschmiert, schwitzend, mit Helm und angespannten Muskeln. Nadine ist 24-Stunden-Weltmeisterin im Vierer-Team, wurde schon dreimal Deutsche Meisterin im Cross Country, einmal Vize-Europameisterin im Marathon. Ihr Leben besteht aus Training. »Ich wollte mich auch mal als Frau präsentieren«, sagt sie. Die hohen Schuhe, die sie auf dem entstandenen Foto trägt, musste sie sich ausleihen. »Ich habe so was gar nicht.« Genauso ist es bei Joanna, sie führt mit ihrem Mann eine Rinderzucht. Sie ist gelernte Landwirtin, hat eine Zusatzausbildung zur Besamerin gemacht. »Ich bringe die Babys in die Kühe.« Sie ist eine schmale blonde Frau, die sehr energisch spricht, vor allem, wenn sie von den Melkanlagen erzählt und wie groß die Herde sein darf, damit sie sich noch von jedem Tier den Namen merken kann. Im Moment sind es 120. Das kriegt sie locker hin. Was ihr im Alltag fehlt, ist das Gefühl, sexy zu sein und begehrt zu werden.


So ist es auch bei den anderen: Andrea ist Finanzanalystin. Wenn sie Leute kennenlernt, denken die immer, sie sei taff und skrupellos. Doris ist bei der Freiwilligen Feuerwehr, sie arbeitet als Maschinistin. Stefanie und Ramona sind im Fußballverein, trainieren bis zu zweimal die Woche und haben am Sonntag dann jeweils ein Spiel. Natürlich auch alles mit Matsch und Grätschen. »Gerade weil es mir keiner zugetraut hat, habe ich es gemacht«, sagt Ramona. Jetzt ist sie auf dem Titel des deutschen Jungbauernkalenders: In kurzer Jeans, den obersten Knopf geöffnet, steht sie in einem Mohnfeld, die gelockten braunen Haare fallen ihr bis in Taille. Ivonne arbeitet als Ergotherapeutin, sorgt bei anderen Leuten für ein gutes Körpergefühl, läuft aber selber den ganzen Tag im Kittel rum. Sie ist auf dem Deckblatt eines Bergwerk-Kalenders. Nackt und nur mit Öl beschmiert steht sie in einem Förderschacht. »Ich kann auch sexy«, sagt sie, als sei von ihr als Frau gefordert worden, das öffentlich unter Beweis zu stellen.


Das muss erklärt werden, schließlich läuft die Argumentation meist andersherum: Jeder nackte Frauenkörper schadet der Sache der Frauen, weil er ein altes Bild aufrechterhält – das von der Verfügbarkeit der Frau. Wer sich auszieht, degradiert sich selbst. Die Geschichte der Objektifizierung der Frau ist viel zu lang, als dass die Frau aus diesem Kontext einfach heraustreten könnte, sagen Feministinnen. Männer schauen Frauen nicht anders an, nur weil die plötzlich einen Grund haben für ihr Nacktsein. Der Blick ist geschult. Die Wahrnehmung gelenkt. Sie bleibt Objekt – ob sie es will oder nicht.


Das ist eine unbefriedigende Schlussforderung, für beide Geschlechter. Denn sie unterstellt, dass Männer sich nicht ändern können und Frauen sich deshalb für immer einschränken müssen. Das kann’s doch nicht sein. Moderne Feministinnen überlegen sich daher, wie man der Frau ihre öffentliche Sexualität zurückgeben kann. Gesucht wird ein neuer Umgang mit Nacktheit, bei dem es nicht darum geht, bei Männern Begehren zu wecken, sondern bei dem es um die Frau geht, um ihre eigene Lust, nicht ums Lustauslösen.


Aber genau darum dreht es sich im Kalenderbusiness: Fast immer sind es Männer, die die Frauen auswählen und die Fotos machen. Auch die Ideen stammen von ihnen. Schwierig sei das gar nicht gewesen, er habe einfach seine Leidenschaften zusammengebracht, sagt Olaf Martin, der Erfinder des Erotica-Mineralis-Kalenders, für den er nackte Frauen in Bergwerken fotografiert hat. In die so entstandenen Bilder hat er dann immer unten rechts noch ein Mineral reinretouchiert. Fertig. Die Idee zum Feuerwehrkalender kam dem Hobbyfotografen Jürgen Wunderlich. Er hat sich auch den Landmaschinenkalender, den Lkw-Kalender und den Waffenkalender ausgedacht. Der wird vor allem von Polizeiwachen in größeren Mengen bestellt: Für jedes Amtszimmer einen. Mit dem gleichen schöpferischen Genie sind auch der Anglerkalender entstanden, der Pfeil-und-Bogen-Kalender und der Nerd-Kalender, in dem Frauen mit Strapsen neben Computer-Klassikern wie dem Commodore 64 aus dem Jahr 1982 oder einem alten Game Boy posieren.


Für die Kalenderfrauen ist es okay, Teil einer fremden Fantasie zu sein. Denn sie arbeiten nicht an einem neuen Bild der Frau, sie wollen nicht provozieren oder verwirren – was als Minimalziel für sich ausziehende Frauen gilt. Sie wollen einfach nur sexy gefunden werden. Ihre Rolle ist passiv. Von ihrer eigenen Sexualität ist das Ausziehen komplett abgekoppelt. Die Frage, ob es sie sexuell erregt, sich halb nackt in der Öffentlichkeit zu zeigen, empfinden sie als anrüchig und unpassend. Das Ausziehen an sich aber nicht. Der Rahmen eines Kalenders sei doch die perfekte Gelegenheit. Wer sollte schon gegen geschmackvolle Erotikaufnahmen etwas einwenden? Vor allem bei ihnen, die sie ja richtige Berufe haben, erfolgreich sind, Kinder aufziehen, Feuer löschen, Ställe ausmisten oder studieren. Stark seien sie ja eh schon, finden sie. Das glaubt man ihnen sofort – im Gespräch. Auf den Fotos sieht man es nicht.


Jürgen Wunderlich, der allein fünf Erotikkalender pro Jahr herausbringt, und das seit Jahren, weiß, was sich verkauft. Ob die Frauen nur ihre Brüste zeigen oder man sogar die Schamlippen erahnen kann unter durchsichtigen Slips, ist egal. »Die Szene muss anzüglich sein, das ist wichtiger. Der Mann muss sich was vorstellen können.« Und das tut er. Auf Boulevardzeitungsseiten gibt es schon seit vergangenem November Klickstrecken von den freizügigsten Bildern aus allen Kalendern, wild gemixt und wild kommentiert. »Die nehmen jeden Schlauch in die Hand« und »bringen jede Leiter zum Ausfahren«, unterschreiben Journalisten die Fotos von den nackten Feuerwehrfrauen. Und die Besucher der Internetseite hinterlassen Beiträge im gleichen Stil. Auch dass das eigene Foto nur im Umfeld anderer züchtiger Posen erscheint, ist in der Klickstrecke nicht mehr sicher: Stand eben noch eine freundliche Bauerstochter, die Scham wegdrehend, in einer Gruppe von süßen Zicklein, ist im nächsten Bild eine Frau zu sehen, die vornübergebeugt mit gespreizten Beinen dasteht und mit dem Revolverlauf einer Taurus Raging Bull an ihren Arschbacken herumspielt. Neben der Fotostrecke prangt dann eine Anzeige für Bezahlsex.


Spätestens jetzt sind alle persönlichen Motivationen der teilnehmenden Frauen irrelevant geworden. Dass sie auch anders können, nämlich arbeiten, anpacken, erfolgreich sein, sieht man nicht. Was bleibt, ist das Bild von einer Frau, die vielleicht sexy ist, auf keinen Fall stark und in jedem Fall nackt.

 


 


Fotos von Markus Burke